Samstag, 24. Januar 2009
 
Mexiko: Aufstand in Oaxaca weitet sich aus PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von akin   
Sonntag, 3. September 2006

Demo in OaxacaIm mexikanischen Bundesstaat Oaxaca ist seit Monaten eine Protestbewegung in Gange, die sich in den letzten Wochen zu einem allgemeinen Aufstand ausgeweitet hat.

Die Koalition der indigenen und anderer Volksorganisationen sowie die LehrerInnengewerkschaft haben die Hauptstadt in ihren Haenden. Bis vor kurzem war auch der Regierungspalast von Aufstaendischen besetzt. Die formelle Regierung des Gouverneurs Ulises Ruiz der frueheren Staatspartei PRI versucht, von provisorischen Bueros in einem Luxushotel am Flughafen aus, weiter funktionstuechtig zu bleiben.

Ausgeloest wurde die Auseinandersetzung durch den im Mai begonnenen Streik von 70.000 Lehrern fuer hoehere Gehaelter und ein verbessertes Bildungssystem. Sie blockierten Hauptverbindungsstrassen in Oaxaca-Stadt, wurden teilweise von Polizeikraeften zurueckgetrieben, kamen aber immer wieder (akin 18/06). Mittlerweile ist die Streikbewegung auf weite Teile der Bevoelkerung uebergegangen, um einen Ruecktritt des korrupten Gouverneurs zu erzwingen.

Am 10. August starb ein Demonstrant, nachdem auf einen Protestmarsch geschossen worden war. Als Polizeikraefte am 22.8. eine von Demonstranten besetzte Radiostation angriffen, wurde ein weiterer Mann schwer verletzt. Er erlag spaeter in einem Krankenhaus seinen Verletzungen. Insgesamt soll es bislang 6 Tote im Laufe der Auseinandersetzungen gegeben haben -- alle auf Seiten der durchgehend pazifistisch orientierten Volksbewegung.

Am 29.8. sollten erste Verhandlungen zwischen Vertretern der Lehrergewerkschaft und der APPO "Volksversammlung von Oaxaca" mit dem Bundesinnenministerium beginnen. Diese scheiterten aber an der Weigerung der Bundesregierung, diese unter Ausschluss von Repraesentanten der Regierung von Oaxaca stattfinden zu lassen.

Solche und solche Barrikaden

Die Barrikaden werden jede Nacht groesser und zahlreicher und es gibt keine Anzeichen dafuer, dass diese bald aufgegeben werden. Teilweise sind die Quartiere derart gut abgeriegelt, dass es selbst fuer die dort wohnhafte Bevoelkerung schwierig war, in ihre Haeuser zu gelangen. Ein grosses Problem sind jetzt auch die wilden Barrikaden, die von Leuten errichtet werden, die die Situation ausnuetzen und Durchfahrtzoll verlangen. Die APPO versucht jede Nacht diese Barrikaden ausfindig zu machen und zu stoppen. An diesen wilden Barrikaden hat es offensichtlich schon mehrmals grosse Auseinandersetzungen gegeben, als festgestellt wurde, dass es sich um PRI-Leute handelt, die vor allem einmal die Leute schikanieren. Es ist ziemlich ungemuetlich in der Nacht und wie ein Kommentator in der Tageszeitung "La Jornada" bemerkte, herrscht auch eine Art Psychose unter den Leuten.

Besetzer Regierungspalast

Der besetzte Regierungspalast in Oaxaca-Stadt


Eine Urabstimmung der Lehrer- und Lehrerinnen ist zugunsten einer Weiterfuehrung der Protestaktionen in massiver Form ausgegangen. Das bedeutet, dass alle Schulen geschlossen bleiben und die Lehrer und Lehrerinnen weiterhin in Oaxaca ihren "Planton" (svw. "Widerstand", "Blockade") weiterfuehren. Ausserdem gibt es Anzeichen dafuer, dass sich immer mehr Lehrer und Lehrerinnen der COBAO’s (Colegio de Bachilleres del Estado de Oaxaca, hoehere Staatsschulen) an den Aktionen beteiligen.

Kuerzlich kam es aber auch zu einem eintaegigen Generalstreik der Unternehmer und Geschaeftsbesitzer. Mehr als 1000 Delegierte hatten einem eintaegigen Generalstreik zugestimmt, an dem die Laeden geschlossen bleiben und jegliche oekonomische Aktivitaet ruhen soll. Die Standbesitzer der Maerkte forderten einen unbegrenzten Streik, konnten sich aber nicht durchsetzten. Die Forderungen der Unternehmer naehern sich dabei immer staerker an die der APPO an: Gegen die Gewalt und die Unfaehigkeit der Regierung, den Konflikt zu loesen. Im Gegensatz zu frueheren Aeusserungen fehlt aber jegliche Forderung fuer ein repressives Eingreifen der Regierung und es ist bekannt, dass immer mehr Unternehmerstimmen sich fuer eine Absetzung von Ulises stark machen.

Die Preise steigen

Eine wichtige Entwicklung, die in der Presse kaum beachtet wird, ist, dass die Preise fuer Grundnahrungsmittel steigen, teilweise massiv. Grund dafuer ist, dass viele Maerkte von mafiaaehnlichen Strukturen kontrolliert werden. Diese Mafia geniesst die Unterstuetzung der PRI und wird von dieser geschuetzt. Die PRI hat diese Woche angefangen, massiv Propaganda und Geruechte zu streuen, dass Subventionsprogramme gestrichen werden, wenn die APPO an die Macht komme. Eine Absurditaet, weil alle diese Programme aus Bundesgeldern finanziert werden. Diese Geruechte sind aber wirkungsvoll, weil viele Leute nicht wissen, woher die Subventionsprogramme kommen und darum glauben viele, dass diese direkt von der Ulises Regierung bezahlt werden. Viele Leute sind darum verunsichert. Gleichzeitig versucht die erwaehnte Mafia in den Maerkten die Standbesitzer dazu zu bewegen (oder zu erpressen), ihre Preise zu erhoehen und diese Preiserhoehungen mit dem Streik der Lehrer- und Lehrerinnen zu rechtfertigen. Das ist ein wirkungsvolles und mittelfristig gesehen auch ein machtvolles Instrument, weil es direkt diejenigen trifft, die potentiell in der APPO organisiert sind - die Unterschichten.

Kirche solidarisiert sich teilweise

Auch die Kirche ist nicht mehr so einheitlich gegen die APPO. 39 Geistliche haben sich in einem Communique mit der Volksbewegung solidarisiert und den Ruecktritt von Ulises als Notwendigkeit bezeichnet um zum Frieden zurueckzukehren. Ausserdem unterstuetzen sie ausdruecklich die Idee einer Volksregierung von unten nach oben, wie sie die APPO vorschlaegt. Der Kanzlersekretaer der Erzdiozoese von Oaxaca hat sich unmittelbar nach dessen Veroeffentlichung von diesem Communiqué distanziert und gesagt, dass es sich ausschliesslich um die persoenliche Meinung der unterzeichnenden Geistlichen handle und keine offizielle Stellungnahme der Kirche darstelle. Doch immer mehr Pfarrer haben auf die eine oder andere Art die Bewegung unterstuetzt. Speziell haben viele Kirchen ihre Glockentuerme geoeffnet, damit diese bei Angriffen auf die besetzten Orte gelaeutet werden koennen.

Auslaendische Terrorprofis

Ein Thema am Rande war diese Tage die Praesenz von auslaendischen Leuten an den Aktivitaeten. Verschiedentlich betonten offizielle Stellen (unter anderem Praesident Fox), dass es Hinweise auf eine massive Einmischung von Auslaendern in diesem Konflikt gebe und dass gegen diese der Artikel 35 der Verfassung schonungslos angewendet werden wuerde. Der Artikel 35 besagt, dass fuer auslaendische Personen jegliche Beteiligung und Einmischung in innere Angelegenheiten verboten ist und eine sofortige Ausschaffung zu folge hat.

Protest im Bundes-Parlament

Am 2.September demonstrierte rund eine halbe Million Menschen in Oaxaca im stroemenden Regen fuer die sofortige Absetzung des verhassten Gouverneurs Ulises Ruiz Urtiz. Auch in Mexiko-Stadt haette demonstriert werden sollen -- wegen Oaxaca und auch wegen der Unregelmaessigkeiten bei der Praesidentschaftswahl. Doch das Parlament wurde mit einer dreireihigen Sperrkette weitlaeufig abgeriegelt und fuer die Parlamentssitzung eine Sperre der Publikumsplaetze verhaengt. Aus Protest dagegen besetzten PRD-Abgeordnete im Kongress das Rednerpodium und verhinderten damit, dass der Praesident seinen sechsten und letzten Rechenschaftsbericht verlesen konnte. Fox musste diesen darum in der Eingangshalle in schriftlicher Form uebergeben und sich daraufhin zurueckziehen.

Felipe Calderon, wahrscheinlich ab 2007 der Praesident Mexikos, hatte schon Ende August in einem Fernsehinterview erklaert, dass er den Konflikt in Oaxaca mit dem Einsatz der Polizei loesen wuerde. Ausserdem koenne er sich vorstellen, das Recht der freien Meinungsaeusserung ausser Kraft zu setzten. um Konflikte wie in Oaxaca oder dem "Planton" in Mexiko City schneller unter Kontrolle bringen zu koennen. (chiapas.ch, poonal u.a./akin)akinlogo

Quellen u.a.: http://www.chiapas.ch/
http://www.npla.de/poonal/
http://www.jungewelt.de/2006/08-30/047.php

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